Resonanz »Weichet nur, betrübte Schatten«
Licht und Schatten / Facettenreiches Portrait
Die Idee, sich mit Bach filmisch auseinanderzusetzen, geisterte schon lange in Ansbach herum. Hans-Georg Schäfer, der Vorvorgänger des jetzigen Intendanten, überlegte bereits, wie sich Bach, die Bachwoche und der Film zusammenbringen ließen. Zu einer Realisation kam es nie. Es fehlten offenbar die passenden Filmemacher. Jetzt ist die Idee endlich projektionsreif geworden. Am Donnerstag hatte das Film-Essay „Weichet nur, betrübte Schatten“ von Stefan Zednik im Theater Ansbach Premiere. Dass sie auf Bachs 261. Todestag fiel, kann man als beziehungsreich schätzen, dass sie zu Bachs Todesstunde stattfand, muss man nicht überbewerten. Bachwochen-Abende beginnen halt um 19.30 Uhr.
Stefan Zednik und Anette Fleming, die an der Konzeption mitarbeitete und das Material für den Film montierte, haben ein kleines Meisterstück vollbracht. Denn „Weichet nur, betrübte Schatten“ ist mehr als eine Dokumentation, die historische Stationen abhakt. Fast möchte man meinen, dass in diesem Film über eine nicht nachlassende Passion für Bach die Autoren etwas Ähnliches versuchen wie Bach in seinen Passionen: Sie nähern sich einem Ereignis historisch referierend, reflektierend, kommentierend und sinnbildlich überhöhend – eine Annäherung auf verschiedenen Ebenen also.
„Weichet nur, betrübte Schatten“ hat natürlich auch einen kontrapunktischen, polyphonen Zug – in Sachen Bach wird am besten in Bachscher Vielstimmigkeit verhandelt. Zednik kombiniert dreierlei miteinander: die Geschichte der Bachwoche, die Entwicklungen der Interpretationsgeschichte und eine Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik.
Jedes dieser Themen würde für eine mehrstündige Dokumentation reichen. Zedniks und Flemings Kunst, zu der auch bewusste Weglassungen gehören, ist, dass sie ihr Material so raffiniert anordnen, musikalisieren und verdichten, dass die Bilder, Musikzitate und Zeitzeugenberichte wie von selbst miteinander ins Gespräch kommen, sich ergänzen und widersprechen, sich expressiv reiben oder sich in schöner Harmonie verbinden.
Wer den Film nicht nur einmal sieht, wird jenseits der Fakten viele Anregungen zum Weiterdenken und Weitersuchen finden – und sei es bloß, weil er auf den alten Aufnahmen alte Bekannte wiederentdecken möchte, denn nebenbei lässt sich der Film als bewegtes Familienalbum für Ansbacher und Bachwöchner sehen.
Die symbolhaften Überhöhungen – die vieldeutigen Spielszenen mit einem Geschwisterpaar zum Beispiel oder die Parallelmontage von Studentenunruhen und Bachwochen-Gediegenheit – richten den Blick in die Tiefe des Materials. Sie erzeugen Bedeutung jenseits ihrer selbst. Das bleibt nicht ohne Folge für die notgedrungenen Auslassungen. Sie werden nun ihrerseits bedeutend. Welcher Künstler fehlt und welcher im Film Platz gefunden hat, darüber lässt sich trefflich streiten. Herrlicher Diskussionsstoff für Bachwöchner.
Fatal aber ist, dass der Name von Dr. Lotte Thaler, immerhin Intendantin dreier Bachwochen, im Film fehlt. Diese Auslassung wirkt wie ein schnöder Akt der Ächtung – selbst wenn sie nicht so gemeint sein sollte. Ganz weichen die Schatten nie.
Thomas Wirth, Fränkische Landeszeitung
Sehenswert!
Die DVD zur Geschichte der Bachwoche Ansbach
Als das Helmuth-Rilling-Kapitel aufgeschlagen wird, werden die Kinder frech und toben durch die Kirche. Eine köstliche Episode später (Rilling schildert den Wortwechsel mit Startrompeter Maurice André während einer Ansbach-Probe) prägt Christoph Wolff den großartigen Satz: »In gewisser Weise hat Helmuth Rilling das Erbe von (äh) Karl Richter angetreten, aber er hat es ganz anders gemacht!«
Die Kapitel-Intermezi mit den beiden Kindern, die sich in jeweils zeittypischen Situationen in den reizvolllen Aufführungsräumen der Bachwoche bewegen — das Konzept bezeichnet diese wunderbar poetischen Episoden trocken als »inszenatorische Mittel«-, die raren historischen Aufnahmen, die Kommentare der Insider und die Gespräche mit zwei charmanten Besucherinnen der ersten Stunde, die durchweg sehr aparte Komposition von Bild, Musik und Text — all das fügt sich in dieser zur Bachwoche Ansbach 2011 erschienenen DVD zu fünf überaus erquicklichen Viertelstunden. Und auch wenn bereits der Titel »Weichet nur, betrübte Schatten« (Bachs Katate 202) darauf hindeutet, dass es derer etliche in der über 60-jährigen Geschichte der Bachwoche wohl gegeben haben muss, auch wenn die Schatten im Film keineswegs ausgeblendet werden: Nie überfällt den Zuschauer das unangenehme Gefühl, er könne aus einer Laune der Filmemacher heraus um das allseits verdiente Happy End geprellt werden!
Dass es sich nicht einfach um einen ambitionierten Dokumentarfilm handelt, sondern (so meint d. Red.) um Filmkunst, wie sie nur fernab jeglicher Eitelkeit geraten kann, das liegt wohl in erster Linie am musikalischen Rhythmus, am natürlichen Atem, an der Stille, die die Musik erst ermöglicht. Es darf als ganz ausgezeichnete Idee der Bachwoche und ihres Intendanten Dr. Andreas Bomba gelten, dass sie ausgerechnet das Team von Stefan Zednik mit der Filmerzählung beauftragt haben. Denn hier kennt man sich eben auch mit den feinsten rhythmischen Nuancen und sonstigen musikalischen Subtilitäten so gut aus, dass nachher alles vollkommen organisch zusammenpasst, ohne dass dies dem Zuschauer zu Bewusstsein dringt.
Während das eine Auge von Regisseur und Kamera-Crew stets hellwach ist, zwinkert das andere immer wieder — zumindest kaum merklich … vielleicht liegt ja irgendwo ein tieferes Gehiemins verborgen, mithilfe dessen filmischer Humor besonders raffiniert in eine spezielle Art Understatement versteckt werden kann. Denn an einer Stelle (siehe Foto) musste ich endlich vor Freude laut loslachen und konnte nicht mehr aufhören; ich weiß bis heute nicht, warum … Und noch ein Tip: Schauen Sie sich unbedingt den kompletten Abspann an! (d.Red.)
Holger Schneider, Forum Bachakademie
Zurück zum Artikel »Weichet nur«.